Der Fuchtelclub – ein Kuriosum mit bleibendem Wert

1955

Wer sich mit der Geschichte des Flughafens Basel-Mulhouse befasst, stösst unweigerlich aufs Kuriosum «Fuchtelclub». Um die Mitte der 1950er Jahre scharte sich – meist an den Wochenenden und manchmal auch schon morgens um drei Uhr – auf dem «Miracle de Blotzheim» eine Gruppe von Flugbegeisterten um Charles Bauer.

Dabei wird oft und ziemlich laut diskutiert, und weil vor allem Charles Bauer beim Diskutieren wild mit den Armen fuchtelt, fragen sich die Leute bald, wer denn diese kuriose Gruppe junger, oft mit Fotoapparaten und Notizblöcken ausgerüsteten Leute sein könnte. Doch es ist damals – und noch heute – niemals ein Verein mit Mitgliedern und Statuten, ja nicht einmal formell ein Club. Doch sie sind immer rechtzeitig da, wenn es am Flughafen Basel-Mulhouse etwas Spezielles zu sehen gibt, und sie wissen Bescheid, mehr als alle anderen Amateur-Aviatiker, oft auch mehr als die auf dem Flughafen Beschäftigten.

Den seltsamen Namen haben sich die «Fuchtelclübler» nicht selbst gegeben. Die Angestellten des Flugplatzes amüsieren sich über die Gruppe, die beinahe zu jeder Tages- und Nachtzeit am Diskutieren – und somit am Fuchteln – ist, beobachtend, begeistert, und in der Meinung, alles wissen zu müssen manchmal auch die wildesten Gerüchte verbreitetend und die seltsamsten Fragen stelltend. Neben vielen anderen gehört auch ein gewisser Moritz Suter zu dieser Gruppe, die – wie zu dieser Zeit üblich, mindestens am Sonntag – in Kittel und Kravatte am Zaun zu treffen ist. Eines Tages war der Name einfach da, der «Fuchtelclub» geboren.

Die verschiedenen Flugzeugtypen – selbstverändlich ohne hinzusehen – am Motorengeräusch zu erkennen, ist für die Fuchtler eine Selbstverständlichkeit. Sie haben die Lande- und Abflugzeiten aller planmässigen Kurse im Kopf. Sind sie ausnahmsweise zuhause, läuft der Flugfunk-Empfänger ohne Unterbruch, um keine überraschende Landung zu verpassen. Und wenn genügend zusammengespart ist (neben den Kosten für die Diafilme), fliegt man gerne, aber keinesfalls direkt, sondern am liebsten in fünf Etappen mit fünf verschiedenen Fluggesellschaften, Fliegen um des Fliegens willen.

Wenn die Flughäfen in Zürich oder Genf wegen Nebel, Schnee oder Eis schliessen müssen, herrscht absolute Hochstimmung unter den Fuchtlern in «Blotze». Der aus der frühen Telegrafenzeit stammende Kürzel «QGO» ist noch heute das Stichwort für solche Feiertage, für die man wenn nötig sogar die Schule schwänzt oder klammheimlich mitten in der Nacht aus der elterlichen Wohnung türmt. Aber auch sonst: Jede verfügbare Minute wird auf dem Flugplatz verbracht, und so entstehen viele der «alten» Bilder und Aufzeichnungen, die wir auf dieser Website nun präsentieren dürfen.

Einer der Fuchtler ist nicht nur Flugzeugfan und -photograph (in dieser Zeit immer mit zwei «ph» !), sondern kümmert sich intensivst um die kommerziellen Aspekte des Flugbetriebs und führt über viele Jahre Listen, in denen die Flüge, die Passagierzahlen, die Auslastung der Flüge und auch das Frachtaufkommen akribisch festgehalten werden. Wenn die Zahlen in den frühen Jahren oft enttäuschend sind, führt dies wiederum zu lebhaften Diskussionen, was «man» denn alles tun könnte und sollte, um die Auslastung zu verbessern ...

Bei einigen Fuchtlern wird das Hobby zum Beruf, sei es als Mitarbeitender von Fluggesellschaften oder Transportunternehmen oder am Flugplatz selbst. Oder sie gründen selbst eine Fluggesellschaft und crossen durch die Air ... Andere – neudeutsch bezeichnet man sie als Plane Spotters – fotografieren in ihrer Freizeit akribisch jedes Flugzeug und legen grosse Dia-Sammlungen an, oder sie schreiben alle Registrationen auf.

Ihr Wissen und bald auch Bilder teilen die Fuchtler öffentlich, mit der in der Freizeit redigierten und publizierten Monatsschrift «World Air News», die auch am Flughafenkiosk erhältlich ist. «World Air News» stellt auch dem Flughafen Bilder zur Verfügung und publiziert über viele Jahre gemeinsam mit ihm zweimal jährlich den gedruckten Flugplan. Auch in neuester Zeit sind sie in gutem Kontakt mit dem Flughafen und der Direktion. Und in der zunehmend papierlosen Zeit werden sie «digital» – als «Väter» zuerst von worldairnews.ch und ab 2006 von bsl-mlh-planes.net.

Leider sieht und hört man die Fuchtler heute nicht mehr so leicht, denn die Kiesplätze am Zaun und die offenen Terrassen gehören der Vergangenheit an. Der Flughafen ist zu einem «Bahnhof» geworden, mit vorbei eilenden Menschen ohne Rast. Den zunehmenden Anforderungen an die Sicherheit sind auch die «Laissez-Passer» zum Opfer gefallen, mit denen einige Fotografen ihre Bilder direkt auf dem Tarmac aufnehmen konnten.

Wirklich? Der Schein trügt: Weiterhin treffen sich mehr als ein Dutzend Fuchtler und «Zugewandte» fast wöchentlich, selbstverständlich am Flughafen. Sie fuchteln nun etwas gemächlicher, bei Kaffee und Kuchen im fünften Stock. Aber sie organisieren mindestens einmal im Jahr einen Ausflug oder eine Besichtigung, wie kürzlich auf dem Berner «Möösli» (Belpmoos). Für sie ist «QGO» noch immer das Reizwort für die frühere wilde Zeit. Und weiterhin heiss debattiert wird auch das aktuelle Geschehen auf dem Flughafen, der seit 1987 EuroAirport Basel Mulhouse Freiburg heisst. Er gibt noch immer genügend Anlass zum Fuchteln!

Rolf Keller, mit Texten von Charles Bauer und Ruedi Gass und wertvollen Tipps der Fuchtler